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Anita Freitag-Meyer
Nachfolgerin
Keks- und Waffelfabrik Hans Freitag GmbH
„Ich wollte schon immer bestimmen, wo es langgeht, und deshalb war für mich schon früh klar, das Familienunternehmen einmal zu übernehmen.“
Anita Freitag-Meyer trat 2006 im Alter von 36 Jahren die Nachfolge ihres Vaters in der Keks- und Waffelfabrik Hans Freitag im niedersächsischen Verden an. Mit unternehmerischem Elan und einem Gespür für Innovationen führt sie die fast 70-jährige Familientradition in dritter Generation weiter.
„Wenn man wie ich in einem Familienunternehmen aufwächst, bekommt man das Unternehmer-Gen wahrscheinlich mit auf den Lebensweg“, erzählt Anita Freitag-Meyer fröhlich. Die 44-Jährige sprüht voller Elan, wenn sie über die Familientradition spricht, in der sich alles um Kekse dreht. 1946 gründete ihr Großvater Hans Freitag im niedersächsischen Verden eine Bäckerei und Konditorei, die er innerhalb weniger Jahre zu einer mittelständischen Keks- und Waffelfabrik ausbaute. Als er 1960 unerwartet verstarb, sprang die Großmutter von Anita Freitag-Meyer in die Bresche und übernahm die Geschäftsführung, bis der Sohn 13 Jahre später zur Nachfolge bereit war. „Meine Großmutter war natürlich ein Vorbild für mich. Sie hat sich im Betrieb enorm engagiert und sich für alles verantwortlich gefühlt. Zugleich war sie aber auch eine feine Dame. Auch wenn ich selbst einen ganz anderen Führungsstil pflege, hat mich ihr Beispiel sehr inspiriert“, erzählt die Nachfolgerin.
Nach kurzer Rebellion kommt das Ja zum Familienbetrieb fast wie von selbst
In Anita Freitag-Meyers Kindheit ist das Unternehmen am Küchentisch immer präsent, und das Mädchen und seine beiden jüngeren Schwestern statten der Fabrik gerne Besuche ab, um auf ihren Rollschuhen durch die Gänge zu toben. Die Frage der Nachfolge durch die Älteste liegt bereits früh in der Luft und die Jugendliche kann diesem Gedanken eigentlich auch viel abgewinnen. „Aber ich wollte nicht fremdbestimmt sein, und deshalb habe ich erst einmal rebelliert“, erzählt die Nachfolgerin mit einem Schmunzeln.
Als 18-Jährige trägt sie sich mit der Idee, Journalistin werden zu wollen und macht ein Praktikum bei einer Fernsehzeitschrift. „Da habe ich schnell gemerkt, dass das Unternehmertum so sehr in mir drin steckt, dass ich lieber selbst bestimmen möchte, wo es lang geht.“ So beginnt sie 1990 ihre Lehre als Industriekauffrau im väterlichen Betrieb. „Da ich eine Praktikerin bin, kam ein Studium für mich nicht in Frage. Ich wollte lieber alles von der Pike auf lernen. Und mein Vater hat mich von der ersten Stunde an richtig gefordert und mich in alle betrieblichen Abläufe einbezogen“, erzählt die Unternehmerin. Vom ersten Tag der Lehre an baut der Vater die Tochter konsequent als Nachfolgerin auf. Zum Abschluss der Ausbildung überschreibt er ihr zehn Prozent der Geschäftsanteile und macht sie zur Geschäftsführerin an seiner Seite. „Für mich war das eine tolle Perspektive und ich war von Anfang an mit ganzem Herzen dabei. Mein Vater hat mich auch nie zu etwas gedrängt, denn er wollte, dass ich meinen eigenen Weg gehe“, erzählt die Chefin.
„Konsequent und frühzeitig geplante Unternehmensnachfolgen haben noch immer eher Seltenheitswert, denn viele Geschäftsinhaber tun sich schwer damit, ihr Lebenswerk aus der Hand zu geben. Auch ist es oftmals nicht einfach, geeignete Nachfolgerinnen oder Nachfolger zu finden. Die bundesweite gründerinnenagentur (bga) tritt mit ihrem Arbeitsschwerpunkt ‚Unternehmensnachfolge durch Frauen’ dafür ein, bei Frauen ein Interesse an dieser Karriereoption zu wecken. Und sie unterstützt mit ihrem Netzwerk übergabebereite Unternehmen darin, passende Nachfolgelösungen zu finden“, so bga-Leiterin Iris Kronenbitter.
Fließender Übergang: Die Tochter wächst im Tagesgeschäft in ihre Führungsrolle hinein
Der Übergang an der Unternehmensspitze verläuft fließend, denn Anita Freitag-Meyer arbeitet 16 Jahre gleichberechtigt mit ihrem Vater zusammen, bevor dieser sich 2006 aus dem Betrieb zurückzieht. „Unsere Zusammenarbeit war immer von Liebe und Kooperation getragen und ich konnte so meine eigene Art zu führen entwickeln“, so die Nachfolgerin. Konkret bedeutet dies für die Unternehmerin, dass ihre Tür immer offen steht, sie alle geschäftlichen Entwicklungen transparent mit den Beschäftigten bespricht und für jeden ein offenes Ohr hat. Und gleichermaßen immer zu verkörpern, ich bin die Chefin. Ob im Kostüm bei geschäftlichen Verhandlungen mit wichtigen Kunden oder in Sicherheitsschuhen bei Sonderschichten selbst an der Maschine, die heute 44-Jährige ist sich ihrer Vorbildfunktion bewusst.
Da sie das Unternehmen von Grund auf kennt, ist die formelle Nachfolge keine große Sache. Vater und Tochter sind sich einig, so dass sie keine externe Beratung benötigen. Auch eine Finanzierung des Betriebsübergangs steht nicht zur Debatte, denn zum unternehmerischen Credo der Keks- und Waffelfabrik gehört es, so weit wie möglich aus eigener Kraft zu wachsen und auf Fremdmittel weitestgehend zu verzichten.
„Nachfolgeprozesse sind immer ein komplexes Unterfangen, so dass sich die Begleitung durch fachkundige Beraterinnen und Berater sehr empfiehlt. Im Netzwerk der bundesweiten gründerinnenagentur stehen Übergebebenden und Nachfolgerinnen Fachexpertinnen und -experten zur Seite, die bei der Klärung betriebswirtschaftlicher und juristischer Fragen sowie im Hinblick darauf, wie sich Nachfolgen am besten finanzieren lassen, unterstützen. Ebenso ist es sehr sinnvoll, den gesamten Prozess durch eine fachkundige Mediation begleiten zu lassen, damit den Belangen aller Beteiligten nachhaltig Rechnung getragen werden kann“, so bga-Leiterin Iris Kronenbitter.
Treue zur Tradition, Mut zur Expansion – die Nachfolgerin setzt mit neuen Produkten ganz auf Zukunft
Wenn ihr Vater heute einmal im Jahr zur traditionellen Besichtigung in den Betrieb kommt, hat Anita Freitag-Meyer immer etwas Neues zu zeigen, denn sie hat längst ihre eigene Note entwickelt. Pünktlich zum Kinofilm „Keinohrhasen und Zweiohrküken“ liefen über die Verdener Backstraßen Kekse mit Hasen- und Kükenmotiven. Auch die Internet-Affinität der Nachfolgerin – das Firmenblog wurde 2012 mit dem Preis für Onlinekommunikation ausgezeichnet –, hat im Sortiment bereits Spuren hinterlassen. Unter dem Label „Anita’s own“ präsentiert die Chefin die so genannten „Likies“, Kekse in Form das bekannten, nach oben gestreckten Facebook-Daumens. Mit Sinn für Innovationen hat die Unternehmerin seit der Übernahme den Umsatz der Fabrik bei gleichbleibender Mitarbeiterzahl um rund 30 Prozent auf 60 Millionen Euro gesteigert. Ihre Strategie: Maßvoll wachsen und auf dem Boden bleiben. Wichtigstes Standbein der Fabrik sind nach wie vor Keksmischungen, die für große Handelsmarken produziert werden. Rund 130.000 Kilogramm Backwaren werden von den rund 330 Beschäftigten pro Tag hergestellt und bis nach China, die USA, Kanada und Südkorea exportiert.
Expansion bedeutet für die Nachfolgerin, durch Optimierungen in den Produktionsabläufen und Effizienzsteigerungen zu wachsen, aber auch durch neue Produktideen. Mit dieser Strategie möchte sie in den kommenden Jahren die Umsätze um weitere zehn bis 20 Millionen Euro steigern. Der Mut, gewisse Risiken einzugehen und auch einmal zu scheitern, gehört für die Verdenerin dabei dazu und bereitet ihr keine schlaflosen Nächte. Den ambitionierten Versuch, bis zu fünf Prozent des Sortiments auf Bio-Produkte umzustellen, hat die Geschäftsfrau, obwohl es ein Herzensprojekt war, beispielsweise aufgegeben: „In unserem Marktsegment werden die Preise bis auf die vierte Stelle nach dem Komma kalkuliert und die Spielräume sind gering. Die Bioproduktion war sehr handarbeitsintensiv, und die Rohstoffpreise sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Mir ist es zwar gelungen, unsere Kunden von dem Konzept zu überzeugen, aber die Absätze waren letztlich zu gering, um das durchzuhalten.“
Da bleibt die Unternehmerin lieber dem Freitagschen Motto „Wir machen Kekse für Millionen, nicht für Millionäre“ treu und versucht, in diesem Marktsegment das Beste herauszuholen. Und dazu gehören nicht nur angemessene Gewinnmargen, sondern auch Nachhaltigkeit in der Produktion. So engagiert sich die Fabrik für den Einsatz von nachhaltig produziertem Palmöl in der RSPO-Initiative und verwendet Schokolade aus zertifiziertem Anbau.
„Frauen in der Rolle der Unternehmerin zeichnen sich dadurch aus, geschäftliche Entwicklungen mit Mut und Maß gleichermaßen voranzutreiben. Die Entwicklung eigener Strategien, gepaart mit einer besonderen Verantwortlichkeit nicht allein für das Wohl der Firma, sondern auch für das gesellschaftliche Umfeld, gehört zu den großen Qualitäten von Unternehmerinnen. Im Netzwerk der bundesweiten gründerinnenagentur finden Nachfolgerinnen zahlreiche Verbände und Vereinigungen, denen sie sich anschließen können, um sich im Fachaustausch auf Augenhöhe mit anderen Unternehmerinnen über ihre geschäftlichen Ideen auszutauschen“, so bga-Leiterin Iris Kronenbitter.
Biss haben, aber geerdet bleiben
Als Vollblutunternehmerin ist Anita Freitag-Meyer immer im Einsatz. So kann es schon einmal vorkommen, dass sie, während der sonntägliche Tatort im Fernsehen läuft, noch einmal schnell ein paar geschäftliche Anfragen beantwortet. „Als Unternehmerin darf man nicht zögern, und man kann sich nicht verstecken. Ich kann Frauen, die über eine Nachfolge oder Selbstständigkeit nachdenken, nur raten, sich zu zeigen, sich nicht in Perfektionswahn zu verstricken, sondern einfach mutig Dinge auszuprobieren“, so die 44-Jährige. Sie selbst erfährt auf dem eigenen Weg viel Unterstützung von ihrem Mann, den sie schon im Alter von 15 Jahren kennenlernte: „Er wusste, was er sich da anlacht, und da er selbst Unternehmer ist, kann er mein Engagement gut nachvollziehen. Aber er holt mich auch auf den Boden zurück, wenn ich mal die Erdung verliere.“
Ein weiterer Anker im bisweilen hektischen Unternehmerinnenalltag sind die beiden Kinder, heute 16 und 17 Jahre alt. „Als ich mit Mitte 20 Mutter wurde, habe ich mich anfangs schon ein wenig verzettelt und wollte alles perfekt machen. Ich habe bis zum letzten Tag der Schwangerschaft gearbeitet und war nach einer Woche wieder im Büro – den Laufstall neben dem Schreibtisch. Aber ich habe bald gelernt, auch Abstriche zu machen und zu delegieren. Meine Schwiegereltern, mein Mann und unsere Kinderfrau haben mich dabei immer tatkräftig unterstützt“, erzählt die Keksfabrikantin. Diese Mischung aus tatkräftigem Einsatz und Gelassenheit scheinen den Nachwuchs bereits zu inspirieren. Zwar wurde über das Thema Nachfolge der vierten Generation noch nicht offiziell verhandelt, aber der Sohn von Anita Freitag-Meyer hat als Begleiter auf einer Geschäftsreise schon interessiert Business-Luft geschnuppert, und was das Selbstbewusstsein ihrer Tochter angeht, ist sich ihre Mutter sicher, dass auch sie das Zeug zur Geschäftsfrau haben kann.
Unternehmenswebseite: www.hans-freitag.de
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