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Gitta Stamm und Hannelore Barthel


Bundesland: Sachsen
Profil: Gitta Stamm und Hannelore Barthel
Nachfolgerin
Raiffeisenbank Sebnitz


„Wir wurden ins Wasser geworfen und mussten schwimmen“


Die Direktorinnen Gitta Stamm (62) und Hannelore Barthel (57) navigierten die Raiffeisenbank Sebnitz durch die schwierigen Jahre der Wende / Heute beschert die Bank ihren Genosinnen und Genossen eine satte Rendite von acht Prozent

Die Geschichte dieser Bank am Marktplatz von Sebnitz ist lang und wechselvoll. Im Jahr 1872 eröffnete sie als Filiale der Pirnaer Bank. Von 1903 bis 1905 war sie eine Vereinsbank. 1920 wurde sie zur Allgemeinen Deutschen Creditanstalt. 1945 ging sie in Staatseigentum über. Sieben Jahre später wurde sie zur Deutschen Bauernbank. Anfang 1990 kam die Umbildung zur Landwirtschaftsbank der DDR, Bank für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft. Kurz vor der Wiedervereinigung schließlich fusionierte sie mit der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft zur Raiffeisenbank Neustadt eG mit Sitz in Sebnitz, einer knapp 9.000 Einwohner zählenden Stadt am Rande der Sächsischen Schweiz. Im Vorstand sitzen zwei Frauen, die seit mehreren Jahrzehnten in der Bank arbeiten. Gitta Stamm, 62, ist seit 42 Jahren dabei und für Vertrieb und Marketing zuständig. Hannelore Barthel, 57, ist mit der Bank seit 41 Jahren verbunden und verantwortlich für Rechnungswesen, Nahrungsgüterwirtschaft. Kurz vor der Wiedervereinigung schließlich fusionierte sie mit der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft zur Raiffeisenbank Neustadt eG mit Sitz in Sebnitz, Controlling und Organisation.

Vom Staatsbetrieb zur Marktwirtschaft: endlich eigenständig schalten und walten
Sie haben die Bank in zwei verschiedenen Gesellschaftssystemen erlebt. Als Staatsbetrieb in der DDR arbeiteten sie ohne Eigenkapital und ohne Kasse, Bilanzen spielten keine Rolle, der Kundenverkehr ging ohne Bargeld über die Bühne. Sie haben hauptsächlich kontrolliert, ob bei Kreditanträgen die angegebenen Hektarerträge, der Benzin- und Kohleverbrauch realistisch waren und was ein Hausbauer mit dem geliehenen Geld gemacht hat. „Es war zum Schluss so stinklangweilig“, erzählt Hannelore Barthel, die 1967 als Lehrling bei der Bank anfing und später eine Fachschule für Finanzwirtschaft besuchte, „dass ich fast so weit war, aufzuhören“. Doch dann kam die Wende. Stamm und Barthel, die schon als Direktorinnen beziehungsweise Sektorenleiterinnen gearbeitet hatten, besuchten ein mehrwöchiges Führungsse¬minar im Westen. Sie lernten die Abläufe einer Genossenschaftsbank kennen, das Kreditwesengesetz, das Bürgerliche Gesetzbuch, was Grundschulden, Hypothe-ken und Haftsummenzuschläge sind. „Wir wurden ins Wasser geworfen und mussten schwimmen“, erzählt Gitta Stamm, die 1966 als Ökonomin zur Deutschen Bauernbank kam und in Fernstudien Finanz- und Wirtschaftswissen¬schaften studierte. Handlungsfähig wurde die Bank mit dem 1. Juli 1990, als sie nach dem D-Mark-Bilanzgesetz, der rechtlichen Grundlage für die Wirtschafts- und Währungsunion, zwei Millionen DM Eigenkapital vom Bund erhielt. Damit konnten die Frauen endlich das tun, was sie vorher nicht durften: Eigenständig schalten und walten.

Fest in Frauenhand: Wachstum ja, aber nicht um jeden Preis
Die Genossenschaftsbank in Sebnitz ist fest in Frauenhand. Unter den 17 MitarbeiterInnen in der Zentrale und den vier Zweigstellen ist nur ein einziger Mann, ein Kraftfahrer. Dafür gibt es eine simple Erklärung. In einer Bank zu arbeiten, war im Osten nicht lukrativ. Als die Vorstandsfrauen mitkriegten, was Banker im Westen verdienen, waren sie baff. „Wir dachten, die kommen von einem anderen Stern“, sagt Hannelore Barthel. Risikogeschäfte, Wachstum um jeden Preis, die eigene Bezahlung entsprechend der Bilanz – so denken die Frauen nicht. „Es werden keine riskanten Sachen geritten“, betont Gitta Stamm. „Ich will doch nicht von der Generalversammlung abgeschossen werden.“ Das haftende Eigenkapital der Bank beträgt mittlerweile 4,1 Millionen Euro, die Dividende liegt bei 8 Prozent. Und auf die Treue ihrer Kunden können sich Stamm und Barthel verlassen. Die Zahl der Genossenschaftsmitglieder liegt seit vielen Jahren konstant bei 354. Neumitglieder zu werben, ist nicht leicht in einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Maximal dürfen zehn Anteile zu je 52 Euro erworben werden. Für jeden Anteil gilt ein Haftsummenzuschlag von 260 Euro, der Teil des Kapitals ist, das zur Haftung bestimmt ist. Im Falle einer Insolvenz wäre diese Summe pro Anteil fällig.

Selbstverantwortung und Partnerschaft mit den Kunden
Stamm und Barthel nennen mehrere Gründe, warum Kunden ihr Geld bei ihnen anlegen sollten: „Teilhabe durch Mitgliedschaft, Partnerschaft statt Gewinnmaximierung, Zusammenarbeit statt Unterordnung, alle Finanzdienstleistungen aus einer Hand.“ Ein weiterer Vorteil einer Genossenschaftsbank ist es, dass das Geld dort sicher ist. In der vor knapp zehn Jahren umgebauten Bank hängt eine Urkunde, die das bestätigt. Es ist ein Zertifikat über die Zugehörigkeit zur Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. „Entsprechend den Bestimmungen des Statuts dieser Sicherungseinrichtung sind damit die Einlagen der Kunden und die Schuldverschreibungen im Besitz von Kunden ge¬schützt. Die Sicherungseinrichtung ist Ausdruck der Solidarität der genossenschaftlichen Ban¬kengruppe unter Wahrung von Selbstverantwortung und Selbstverwaltung.“ Den Gedanken, zu einer Direktbank zu wechseln, hatten die Vorstandsfrauen nie. „Um Gottes Willen“, sagt Gitta Stamm. „Nach so vielen Jahren ist das wie eine Ehe.“ Hannelore Barthel kann wieder nur zustimmen. „Außerdem ist die Kundennähe groß und die Entscheidungswege sind kurz.“

Unternehmenswebsite: www.rb-neustadt-sachs.de

Quellenhinweis: Barbara Bollwahn, Frauengenossenschaften – Genossenschaftsfrauen. Taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Berlin 2008, S. 27 ff.





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